Borniert bis auf die Knochen

  • Matthias Wagner-Uhl
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Borniert bis auf die Knochen

Wenn sich der Philologenverband, der sich sonst konsequent nur in seinem eigenen Universum dreht, für eine andere Schulart interessiert, ist das ein Novum. Und es kann nur eins bedeuten: Da ist Bewegung in der Schullandschaft, die die gymnasialen Pfründe zu bedrohen scheint. Dies ruft deren Fürsprecher nicht nur auf den Plan – es führt auch dazu, dass diese jeglichen Anstand verlieren.

„Wir stellen mit Verwunderung fest, dass der Philologenverband als Vertretung vieler GymnasiallehrerInnen im Land jegliche Beißhemmungen gegenüber KollegInnen anderer Schularten verliert“, sagt Matthias-Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg e.V. Wie sich heute zeigte, war die Pressemeldung mit einer pauschalen Diskreditierung von formalqualifizierten Grund- und HauptschullehrerInnen sowie Schulleitungen an der Gemeinschaftsschule nur der Auftakt zu einem wilden Eindreschen auf die Schulform. Mit einem kruden Mix aus Unterstellungen und Beschuldigungen legte der Verband heute nach.

„Die Aussagen des Philologenverbands sind so haltlos, dass es sich nicht lohnt, im Detail darauf einzugehen“, sagt Dr. Ulrike Felger, Sprecherin des Elternnetzwerks im Verein und zugleich stellvertretende Vereinsvorsitzende. Adressat der absurden Aufzählung sei nämlich insbesondere die Schulverwaltung: „Hier wird die grundsätzliche Seriosität unserer Schulverwaltung in Frage gestellt, denn die benannten Punkte sind letztlich dort verortet“, sagt Felger: „Ich bin überrascht, wie man zu solche einem kruden Bild von Lehrerinnen und Lehrern in unserem Schulsystem kommt – da gibt es offenbar eine lebhafte Phantasie, die viel über das eigene Berufsverständnis und den zugrundeliegenden Berufsethos offenbart.“

Dass sich der Philologenverband an der Gemeinschaftsschule abarbeitet, hat aus Sicht deren Interessensvertretung einen guten Grund: „Unsere Schulen zeigen, wie zeitgemäße Entwicklung von Bildungsangeboten orientiert an internationalen Standards in der Praxis funktioniert“, erklärt Wagner-Uhl. In Kombination mit der Genehmigung weiterer Oberstufenstandorte sieht sich die Gymnasial-Lobby seit Jahren erstmals im Zugzwang, sich mit ihrer Weiterentwicklung zu beschäftigen. Ein schwieriges Unterfangen für eine Schulart, die sich der gesellschaftlichen Dynamik konsequent durch Abgrenzung und Ausgrenzung verweigert. Zudem halten die Gemeinschaftsschulen ein attraktives Angebot zum G9-Abitur bereit, um das sie viele Allgemeinbildende Gymnasien beneiden.

Dass die oberste Dienstherrin aller LehrerInnen im Land die Kampagne des Philologen-Verbands mit einem Gesprächsangebot adelt, irritiert die Gemeinschaftsschul-Eltern: „Es wäre verantwortungsvoller, sich zunächst mit VertrerInnen der völlig zu Unrecht beschuldigten Schulart auszutauschen, bei einem Treffen mit gymnasial Lehrenden an den Gemeinschaftsschulen könnte die Kultusministerin zudem viel über ein zukunftstaugliches Schulsystem in Baden-Württemberg lernen“, sagt Felger. Denn viel beschworene Themen wie ein gelingender Umgang mit Diversität oder eine lebendige Demokratiebildung sind an der Gemeinschaftsschule Tagesgeschäft. Schwelgen in Feuerzangen-Bowlen-Romantik bereitet hingegen Gesellschaft und Wirtschaft im Südwesten keinen sicheren Weg in die Zukunft.

Gemeinschaftsschulen als Chance für Berufseinsteiger

Laut Aussagen des Kultusministeriums sind derzeit zwischen 2.000 und 3.000 ausgebildete GymnasiallehrerInnen im Südwesten auf der Straße. „Es ist bemerkenswert, dass hier eine so genannte Interessensvertretung derart scharf Front gegen eine Schulart macht, die viele dieser jungen Pädagogen in Lohn und Brot bringen könnte“, sagt Wagner-Uhl. Über die eigentlichen Treiber dieser Verweigerungshaltung könne man nur spekulieren. Neben einem Einstieg ins Berufsleben biete die Schulart Gemeinschaftsschule eine moderne Pädagogik, zeitgemäße Didaktik und kooperative Arbeitsformen.

Tatsächlich gibt es eine große Anzahl an Gymnasiallehrenden, die mit ausgesprochener Zufriedenheit ihrer Tätigkeit an der Gemeinschaftsschule nachgehen. Und die das damit verbundene höhere Stundendeputat gegenüber Lehrenden an herkömmlichen Gymnasien gerne in Kauf nehmen. Dabei spielen neben einem guten Leistungsniveau im klassischen Sinne auch andere Qualitäten, die die SchülerInnen in ihrer Schulzeit entwickeln eine wichtige Rolle.

„Den wenigen vom Philologenverband zitierten unglücklichen LehrerInnen an unseren Schulen können wir ein ganzes Bündel an ‚Liebeserklärungen‘ von gymnasial Lehrenden an unser Schulart gegenüberstellen – hier laden wir herzlich zur Lektüre dieser O-Töne und Statements ein“, sagt Wagner-Uhl. Für ihn zeigt der unsäglich Vorstoß der Gymnasial-Lobby eine grundlegende Erkenntnis auf: „Die Arbeit an unseren Schulen, völlig unabhängig von der Schulform, ist fordernd und erfüllend zugleich – leider ist es nicht jedem gegeben, hier glücklich zu werden“.

Mathias Wagner-Uhl, 1. Vorsitzender

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